Das Festival der geistlichen Musik in Fes (Marokko)

Ein weiteres Märchen aus 1001 Nacht

Ein Gastartikel von Bella Liebermann

Dieses Jahr ist das Festival 25 Jahre alt und das Ensemble Kol Colé (Köln, Klezmer Ensemble) wurde hierzu eingeladen und hatte die Ehre, mit zwei Konzerten aufzutreten – am 19. und 20. Juni in der Synagoge El Fassiyne.

Kol Colé in Fès

Fes

Fes soll die am wenigsten touristische Großstadt Marokkos sein. Sie lebt ihr aktives Leben, in dem die Traditionen des patriarchalischen muslimischen Staates, der lange Zeit als Protektorat Frankreichs bestand, und die moderne europäische Kultur auf interessante Weise vereint sind. Touristen stehen im alten Teil von Fes und in den Hotels der Stadt natürlich im Mittelpunkt. Trinkgelder werden dort auch für den üblichen Service erwartet und in den Straßen der Altstadt fragen Kinder in verschiedenen Sprachen der Welt nach einer Gabe.

Diese teilweise antike Stadt ist stolz auf ihre Traditionen des Zusammenlebens verschiedener Kulturen und Religionen, des Christentums, des Islam und des Judentums. Die antike Stadt mit ihrer tausendjährigen Architektur ist selbst ein Zeugnis dieser Vielfalt. Die Stadt hat vollständig erhaltene Festungsmauern, in der sich erstaunlich schöne Tore befinden, von denen jedes ein Kunstwerk ist. Einige dieser Tor öffnen den Weg zu der mittelalterlichen Medina mit ihrem Labyrinth aus Einkaufsstraßen, Moscheen und verschiedenen Cafés.

Man sagt, wenn Sie den Geist der Stadt kennen lernen wollen, dann kommunizieren Sie mit den Einheimischen in ihrer Muttersprache. Wenn Sie etwas Arabisch- oder Französisch sprechen, können Sie in Fes sicher mit Taxifahrern, Verkäufern und den Mitarbeitern der Synagogen kommunizieren. Französisch- und Arabisch- Kenntnisse von Mitgliedern unserer Gruppe boten uns diese Möglichkeit. Minitaxis, in der Regel der Marke Dacia in einem einheitlichen Rot, sind das übliche Fortbewegungsmittel in Fès. Eine Fahrt von ca. 3 KM kostet ca. drei Euro (30 Dirham), wird aber bei Fahrtbeginn verhandelt. Als die Fahrer in Gespräch erfuhren, dass wir zu den Künstlern des Festivals gehören, senkten sie teilweise den Fahrpreis und fragten uns, woher wir kommen und wo wir auftreten. Die Erwähnung der Synagoge (zuerst sehr vorsichtig, dann mutiger) verursachte durchaus positive Reaktionen. Sie respektierten die jüdische Kultur, wie aus der Aussage eines der Taxifahrer hervorgeht: „Die marokkanische Geschichte und Kultur hat drei wichtige Komponenten: arabische, jüdische und berberische.“ Eines der Mitglieder unseres Ensembles kommentierte diese Aussage als elementare Höflichkeit der Araber, weil es üblich ist, den Gast zu loben und ihn mit Komplimenten zu überschütten.

Aber in der Aussage des Taxifahrers steckt noch etwas Wahres. Wenden wir uns der Geschichte zu.

Die Geschichte der Juden in Marokko

In diesem kleinen Artikel ist es unmöglich, die tausendjährige Geschichte der Juden in Marokko zu beschreiben. Nichtsdestotrotz ist daran zu erinnern, dass die Juden während der Zeit des Ersten Tempels begannen, sich hier im 9. bis 11. Jahrhundert niederzulassen. Fes war zu dieser Zeit eines der größten Wirtschaftszentren Nordafrikas. Die Stadt hatte eine reiche und einflussreiche jüdische Gemeinde; zusammen mit den Anhängern der rabbinischen Tradition lebten hier auch Karaiten.

Bis zum Eintritt der Berber-Dynastie im 12. Jahrhundert wurden die Juden in Marokko geduldet.

 

Maimonides

Während der Ausbreitung des fanatischen Islams in Süd-Europa und Nordafrika begann durch die Suche nach Sicherheit die Umsiedlung von Juden und liberalen Muslimen in andere Länder. Auf dem Weg solcher Suchenden war Fes. So erschien in der Stadt Fes Maimonides (RamBam – Rabbi Moshe ben Maimon -1138, Cordoba – 1204, Kairo; in Tiberias, Israel,begraben). 1160 verließ seine Familie Cordoba, gefangen genommen von den Almohaden, und ließ sich nach langen Wanderungen in dieser Stadt nieder. Maimonides studierte an der berühmten Universität von al-Qarawīyīn , die sich im Zentrum der Medina von Fes befindet. Er studierte, wie seinerzeit üblich, mehrere Fächer : Medizin, Philosophie, Astronomie, Chemie und Mathematik.

Heute kann man am Eingang von al-Qarawīyīn  auf dem Schild seinen Namen unter anderen bekannten Absolventen lesen. In unserer Zeit darf ein nicht islamischer Tourist jedoch nur den Innenhof der Universität von außen durch das Tor sehen, der mit Springbrunnen und Mosaiken geschmückt ist. Einige Quellen weisen darauf hin, dass die Familie Maimonides aus Angst vor Verfolgung vorgab, Muslime zu sein; andere, daß Maimonides gewaltsam zum Islam konvertierte. Diese Hypothesen werden jedoch nicht bestätigt. Seit dem Ende des 14. Jahrhunderts kamen sephardische Juden aus Spanien nach Marokko, weil sie sich weigerten, im katholischen Spanien das Christentum anzunehmen. Sie wurden von den „katholischen Königen“ Ferdinand und Isabella vertrieben.

Kol Colé in Fès

Die Sepharden

Die Sepharden (nach dem hebräischen Wort Sfarad für Spanien) in Fez gründeten eine eigene Gemeinde, aber die neu angekommenen Juden und Alteingesessenen hatten jahrzehntelang Konflikte miteinander. Im Laufe der Zeit verschwanden die Differenzen und die jüdische Gemeinde, die die sephardische Tradition des Gottesdienstes übernahm, wurde geeint. Die Sprache der Juden von Fes war Hakheti. Die Grundlage dieser Sprache ist Ladino, die Sprache der spanischen Juden mit Vokabular der arabischen und berberischen Dialekte und mit den Redewendungen aus dem Hebräischen.
Marokko ist, wie in der Verfassung festgelegt, ein islamischer Staat. Und niemand beschuldigt die Marokkaner des Rassismus, wie sie Israel beschuldigen, ihn zu einem jüdischen Staat erklärt zu haben. Marokko ist seit 1956 keine französische Kolonie. Das Land ist eine Monarchie, deren Amtssprachen Arabisch und Berberisch sind. Im Bereich der Bildung und Wirtschaft ist das nichtamtliche Französisch im Land weit verbreitet, weil nach der Kolonialisierung Marokkos durch Frankreich dies seine Spuren hinterließ. In den historischen Städten Marokkos – Fes, Marrakesch und Meknes – gibt es die berühmtesten jüdischen Viertel (einer Art jüdischer mittelalterlicher Ghettos), welche „Mellah“ (vom arabischen Wort „Salz“) genannt werden. Die Mellah von Fes befindet sich in unmittelbarer Nähe des königlichen Palastes, was auf die Schirmherrschaft des Königs, unter welcher die Juden gestanden haben, zurückzuführen ist.

Kol Colé in Fès

Moderne Geschichte und Situation heute

Dies zeigt sich auch in der modernen Geschichte. So verpflichtete sich König Mohammed VI., jüdische Stätten in Marokko wiederzubeleben. 1996 wurde in Fez dank der gemeinsamen Bemühungen des World Monuments Fund, von American Express (New York), des marokkanischen Kulturministeriums und des Fonds für jüdisches marokkanisches Kulturerbe z.B. ein Gebäude wiederhergestellt – die Synagoge des 17. Jahrhunderts „Ibn Danan“. Und König Hassan II., der im Gegensatz zu anderen arabischen Ländern wiederholt eine tolerante Haltung gegenüber der jüdischen Bevölkerung seines Landes zeigte, hat seit Beginn des 21. Jahrhunderts den Holocaust-Geschichtsunterricht an Schulen eingeführt.

Laut Wikipedia betrug die jüdische Bevölkerung in Marokko im Jahr der Gründung des Staates Israel 1948 265.000 Personen. In der folgenden Zeit- insbesondere infolge der arabisch-israelischen Kriege – kam es in Marokko zu antijüdischen Unruhen, und der größte Teil der jüdischen Bevölkerung wanderte nach Israel, Frankreich und Kanada aus. Heute leben die meisten Juden des Landes (etwa 3.000 Personen) in Casablanca. Nur eine kleine jüdische Gemeinde, zwei Synagogen und ein Friedhof blieben in Fes.

Der jüdische Friedhof von Fes hat sein eigenes besonderes Aussehen und seine eigene Architektur. Alle Grabsteine ​sind in weißer Farbe gestaltet, viele Inschriften sind mit Gold ausgelegt. Auf dem Friedhof befinden sich Gräber aus der Dynastie des berühmten Rabbiners Monsonego. Die Gründerin dieser Dynastie, Edidia Monsonego, ließ sich 1492 in Fes nieder, als die Juden aus Spanien vertrieben wurden. Das Grab von Rabbi Yehuda Ben Attar (1655 – 1733) ist auch ein Wallfahrtsort für die Juden der Welt. Auf dem Friedhof befindet sich auch das Grab der jüdischen Schönheit Soliki Hachuel, in das sich der Sultan Moulay Abdel-Rahman verliebt hat. Das Mädchen weigerte sich, ihren Glauben zu ändern und wurde 1834 (!) hingerichtet.

Jüdischer Friedhof

Es gibt zwei Synagogen in der Stadt Fes – Ibn Danan, eine der größten in Nordafrika, die hier im 17. Jahrhundert von einem reichen Kaufmann erbaut wurde, und El Fassiyne. Beide Synagogen haben das Aussehen eines traditionellen jüdischen Hauses für diese Gegend, mit Fenstern , die mit orientalischen Ornamenten und Mosaiken verziert sind. Die Synagoge aus dem 17. Jahrhundert wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Teppichwerkstatt und sogar als Boxhalle verwendet. Glücklicherweise wurde es nach einer gründlichen Restaurierung in den Jahren 2010-2011 am 13. Februar 2013 in Anwesenheit von Bundestagspräsident Norbert Lammert feierlich eröffnet und der Öffentlichkeit übergeben.

Zur Synagoge führt von der Haupteinkaufsstraße des jüdischen Viertels eine schmale Gasse, die zur Synagoge in nur ein paar Schritten führt. Davor ist zur Bewachung ein Polizist abgestellt und zusätzlich eine Videokamera installiert. Ist es nicht ein bekanntes Bild ? Die Arbeit der Polizei und der muslimischen Familie, die sich um die Synagoge kümmert, wird vom Staat bezahlt.

Kol Colé in Fès

Das Festival

Kommen wir zum Festival. Die marokkanische Stadt Fez ist ein idealer Ort, um das Internationale Festival für geistliche Musik abzuhalten, das hier zum 25. Mal, vom 14. bis 22. Juni 2019 stattfand.
Die Festivalorganisatoren haben die Stadt in eine Kulisse für die Konzerte verwandelt. Viele von ihnen werden im Freien abgehalten.

Die Eröffnung des Festivals war eine grandiose Inszenierung, die durch die Geschichte Marokkos führte. Es wurde in dem Palasthof am Bab Al-Makina-Tor open air aufgeführt und es versammelten sich mehr als 5.000 Zuschauer im ausverkauften Hause.

Das Ensemble Kol Cole‘ war zu allen Veranstaltungen eingeladen – hier hörten wir bekannte und populäre Musiker der meist orientalischen Welt – z.B. Sami Yusuf und Marcel Caliph.

Bei der Eröffnungsveranstaltung hat trotz der Dominanz der Rolle des Islam in der Kultur Nordafrikas und des Nahen Ostens das jüdische Thema einen würdigen Platz eingenommen, das Wirken von Maimonides wurde gewürdigt.

Die meisten Aufführungen fanden am Abend statt, als im Schein des Mondes die Veranstaltungen durchgeführt wurden. Man erlebte die erstaunliche Schönheit der choreographierten Beleuchtung der Festung und seiner Mauern : das mittelalterliche Tor, vor dem sich die Szene befand, war ein zentraler Punkt. Die Beleuchtung erinnerte an die Motive von magischen Mosaiken und Keramiken der Medina, die sich mit der Musik vereinten. Die Erstaunlichkeit dieses Spektakels, wie fasziniert sein Umfang wie die Geschichten von tausendundeiner Nacht!

Die folgenden Festivaltage standen ganz im Zeichen individueller Darbietungen.

Teams an verschiedenen Orten der Stadt- der architektonische mittelalterlicher Komplex des Bab Makina (Makinsky-Tor), Jardin Sbil (Stadtgarten) und andere Konzertorte.

Die Musiker aus der ganzen Welt nahmen am Festival teil. Die sich oft wiederholenden Melodien und meditativen Ornamente orientalischer Musik, die tiefe Melancholie barocker europäischer Kompositionen, feurige andalusische Gesänge und virtuose Klänge eines Dudelsacks – es war wie in bunter gemeinsamen Chor.

In diesem gemeinsamen aktiven Musizieren sehen die Veranstalter meiner Meinung nach die Idee des Festivals: das gemeinsame Musikerlebnis übernimmt die Rolle einer Art Therapie – gegen die menschliche Entfremdung und die Feindseligkeit der Menschen gegeneinander.

Fez Festival

 

Kol Colé in der Synagoge El Fassiyne

Für die Konzerte wurden verstärkte Sicherheitsmaßnahmen getroffen.

Die Anwesenden in der Synagoge wurden gebeten, den Raum für die Polizei zu räumen, welche mit einem Spürhund das Vorhandensein von Sprengstoff überprüfte. Wie bei allen Konzerten waren auch hier bei der Einlasskontrolle verschärfte Sicherheitsmaßnahmen für die Besucherkontrolle angesetzt.

Das Ensemble Kol Cole bot den Zuhörern eine jüdische geistliche Musik in ihren verschiedenen Richtungen – von chassidischer Musik bis zu Psalmen, traditionell als auch von mir für dieses Festival komponiert. Der gefüllte Saal mit internationalem Publikum zeigte viel Interesse an den Liedern und den Refrains.

Lieder wurden sogar von jungen Marokkanern mitgesungen, die an der technischen Organisation mitwirkten. Die Musik von Klezmer ließ niemanden im Publikum gleichgültig: Die Leute klatschten im Takt der Lieder. Besucher aus Kanada und Australien sangen mit den Musikern „Mi Haish“ und „Shir Ha Maaot“.

Die Erinnerungen an dieses erstaunliche, temperamentvolle Zusammengehörigkeitsgefühl der Besucher mit dem Ensemble in der Synagoge beeindrucken mich bis jetzt. So sind meine Erinnerungen nicht nur musikalischer Art.

Im Judentum gibt es den Begriff „Tsdaka“, der weiter ausgelegt wird als Nächstenliebe, mehr als „Gerechtigkeit“. Für uns ist diese Veranstaltung, unser Konzert, zu einer Art „Tsdaka“ geworden –
Rückkehr zu den Mauern der marokkanischen Synagoge und ihrer ursprünglichen Kultur.

Vielen Dank, daß die Veranstalter und die fleißigen Helfer des Festivals uns diese Gelegenheit gegeben haben. Vielen Dank an das Publikum, das mit uns diese Ereignis geteilt hat.

Bella Liebermann

Kol Colé in Fès

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