Shtetl Föhrenwald

Ein jüdisches Shtetl direkt nach der Shoah – mitten in Bayern

Noch 1938, nachdem die dortige jüdische Frauenschule geschlossen wurde, gebärdete sich das bayrische Wolfratshausen als „judenfrei“. Nur sieben Jahre später entstand hier die größte jüdische Siedlung seinerzeit in Europa.

1945 suchten die Amerikaner nach einem Ort für Tausende von DP’s (Displaced Persons): Menschen, die das KZ und die Todesmärsche überlebt hatten, die sich über Jahre versteckt halten konnten – Juden, die die Shoah irgendwie überstanden hatten, jetzt aber keine Heimat, keine Familie und keinen Ort hatten, wo sie hingehen konnten.

In Wolfratshausen-Föhrenwald, nicht weit vom Starnberger See, enstand eine jüdische Siedlung, in der zeitweise 5000 Menschen lebten, ein echtes Shtetl mit eigener Verwaltung, Schulen, Synagogen, Kindergärten, einer Universität für Rabbiner und einer eigenen örtlichen Zeitung. Die Umgangssprache war Jiddisch.

Nach nur zwölf Jahren kam das Aus. Die ständig wachsende Siedlung wurde von ihrer Umgebung mit Skepsis betrachtet, schließlich kaufte die katholische Kirche das Gelände, die jüdischen Bewohner wurden mehr und mehr an den Rand gedrängt und teils zwangsweise umgesiedelt. Viele gingen in den damals noch jungen Staat Israel oder in andere deutsche Städte.

Eine ausführliche Dokumentation zu diesem erstaunlichen Shtetl in Bayern findet sich in einem Bericht der Neuen Zürcher Zeitung:

Wie Deutschland in der Nachkriegszeit die Spuren seiner jüdischen Geschichte zum Verschwinden brachte

Alois Berger: Föhrenwald, der vergessene Shtetl

Im März ist ein Buch zu Föhrenwald erschienen. Aois Berger ist dort aufgewachsen, er hat das Schweigen erlebt. Er verwebt die Spurensuche in seiner Heimat mit den Geschichten der Überlebenden – denen, die nach Israel gingen, und denen, die aus dem Land der Täter nicht wegkonnten.

»Ich habe meine gesamte Jugend in einer Art Theaterkulisse verbracht, einer sehr schönen, fast kitschigen Theaterkulisse mit verschneiten Bergen am Horizont, glasklaren Seen, mit malerischen Bauerndörfern und barocken Kirchen. Natürlich war das alles real, aber die Bilder im Kopf bekamen zerschlissene Ränder und fadenscheinige Stellen, als ich herausfand, dass mitten in dieser friedlichen Landschaft ein blinder Fleck war, eine sehr große undurchsichtige Leerstelle, über die nie geredet worden war.«

Podcast

Ein Interview mit Alois Berger in „Neugier genügt“ im WDR 5 vom 1.6.2023.

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