Lieder aus dem Wilnaer Ghetto

Vor dem Zweiten Weltkrieg galt Vilnius (Wilna) als das „Jerusalem des Ostens“ mit einer jüdischen Bevölkerung von etwa 55.000 Menschen, was rund 28 Prozent der Stadtbevölkerung entsprach. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht im Juni 1941 wurden die Juden systematisch entrechtet, misshandelt und in das im September eingerichtete Ghetto gezwungen.

Dos gezang fun vilner geto

Das Leben war geprägt von Hunger, Kälte, Überbelegung und ständiger Angst vor den sogenannten „Aktionen“, bei denen Menschen selektiert und meist in das nahegelegene Ponar zur Erschießung gebracht wurden. Die Ghettobewohner versuchten dennoch, ein kulturelles und soziales Leben aufrechtzuerhalten: Es gab eine Schule, eine Bibliothek, eine Krankenstation und sogar ein Theater. Hier entstanden einige heute noch sehr bekannte Lieder, wie z.B. Friling, Yisrolik, Zog nisht keynmol, Shtiler shtiler und Shtil, di nakht iz oysgeshternt.

Im Januar 1942 schlossen sich zionistische Widerstandsgruppen zur Fareinikte Partisaner Organisatzije (FPO) zusammen. Sie planten bewaffneten Widerstand, konnten aber nicht auf breite Unterstützung zählen und zogen sich schließlich in die umliegenden Wälder zurück, wo sie sich sowjetischen Partisanen anschlossen

Ab August 1943 begann die systematische Räumung und Deportation der Ghettobewohner nach Lettland und Estland. Am 23. September 1943 wurde das Ghetto endgültig aufgelöst. Die meisten Insassen wurden ermordet oder in Konzentrationslager deportiert.

Kurz nach dem Krieg erschien 1947 in Paris ein großformatiges Heft mit 55 Seiten unter dem Titel Dos gezang fun vilner geto. Es enthielt eine Sammlung von 37 Liedern und Gedichten, die im Ghetto von Wilna entstanden waren. Gesammelt und erläutert hatte die Lieder der damals 46jährige Shmerke Kaczerginski, Dichter und Partisan aus Wilna. Einige der Texte stammen aus seiner Feder, wie z.B. Friling.

Diese Sammlung ist jetzt neu herausgegeben worden, Dieter Koller und Sebastian Wogenstein haben die Lieder mit Noten in einer kommentierten Neuedition transkribiert, in ein singbares Deutsch übertragen und die Schicksale der genannten Personen sowie die Geschichte der Orte sorgfältig recherchiert. Zusätzliche Materialien und Abbildungen geben einen bewegenden Eindruck vom entschlossenen Widerstand gegen die Besatzer, die mit der Bevölkerung auch die vielfältige jüdische Kultur Wilnas auslöschen wollten.

Das Buch ist großformatig, Hardcover, erschienen im Verlag Hentrich & Hentrich, kostet 29,90 € und ist eine unbedingte Empfehlung für alle, die sich für die Geschichte und/oder Musik interessieren.

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